Das Beispiel der Berliner Charité macht Schule: In Hamburg oder im Saarland bereiten sich Pflegekräfte strategisch darauf vor, durch gewerkschaftliche Gegenwehr ihre kontinuierlich schlechter werdenden Arbeitsbedingungen nicht mehr länger kampflos hinzunehmen. Doch damit nicht genug. Auch die Töchter proben den Aufstand – ob bei Vivantes oder den ausgesourcten Servicegesellschaften der Krankenhäuser: Die Leute haben die Schnauze gestrichen voll, und das zu Recht!

Die Charité-Kolleginnen und -Kollegen haben bewiesen, dass Gegenwehr möglich ist. Das passierte nicht über Nacht, sondern ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Privatisierungsprozesses in der Pflege, an den sie sich über Jahre Stück für Stück gewöhnt haben. Der Erfolg der Streikenden an der Charité hat Vielen in ihrer Branche und darüber hinaus Mut gemacht, für einen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz zu kämpfen. Man stelle sich die Panik der Arbeitgeber vor, als das Landesarbeitsgericht Berlin/Brandenburg offiziell begründete, dass ihre unternehmerische Freiheit genau dort endet, wo der Gesundheitsschutz des Personals anfängt. Deswegen hat der Streik zur Entlastung der Charité-Kolleginnen und -Kollegen vielen Beschäftigten eine neue Perspektive gegeben. Das, was neu ist, ist die Hoffnung, als Belegschaft gemeinsam mit der Gewerkschaft eine spürbare Verbesserung erkämpfen zu können.

Der Kampf um mehr Personal bietet ver.di eine historische Chance. Vor allem in der Dienstleistung erleben Beschäftigte seit Jahren die zunehmende Prekarisierung ihrer Arbeit: Outsourcing, Niedriglohn, Dauerbefristungen, Miniteilzeit und systematische Tarifflucht. Die permanente Unsicherheit und Unmöglichkeit, das eigene Leben planen zu können, wird einem globalen Wettbewerbsgedanken alternativlos untergeordnet, egal, wer an der Macht ist. Ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder die GroKo: Gemein ist allen die ungenierte Umverteilung von unten nach oben. Gewerkschaften, die maximal zu Abwehrkämpfen und ansonsten zu Kompromissen zu Ungunsten der eigenen Klientel bereit waren, schüren auf Dauer Frust. So sind die innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung hin zu einer konfliktorientierten Gewerkschaftsarbeit auch Auseinandersetzungen zwischen der alten romantischen Vorstellung von Sozialpartnerschaft zwischen Kapital und Arbeit und dem neuen kämpferischen Selbstbewusstsein vieler Kolleginnen und Kollegen in der Pflege, in der Erziehung oder im Handel.

Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen sind aber nicht nur eine Chance für Gewerkschaften, sondern auch für eine bewegungsorientierte LINKE. Eine LINKE, die sich an diesen Kämpfen beteiligt, kann auch den Anspruch erheben, die Kämpfe dieser Kolleginnen und Kollegen dann in die jeweiligen Parlamente zu tragen. DIE LINKE muss in Bürgerbewegungen, Streikkomitees, auf der Straße und in den Parlamenten die Stimme derer sein, die sich gegen den neoliberalen Wahnsinn wehren und dazu bereit sind, dafür selbstbewusst in den Konflikt zu gehen.

von Jan Richter, Bundessprecher der AG Betrieb & Gewerkschaft