Was haben Politikverdrossenheit, Rechtsruck und das Gefühl politischer Ohnmacht mit der Arbeitswelt zu tun? Demokratische Enttäuschungen hängen eng mit dem Ausbleiben von Mitbestimmungserfahrungen am Arbeitsplatz zusammen, schreibt Jan Richter in der Mai-Ausgabe der Zeitung der BAG Betrieb & Gewerkschaft. Für demokratische Beteiligung aber braucht es Selbstachtung. Und sinkt der Stellenwert der Arbeit, sinkt auch das Vertrauen in demokratische Prozesse. Wo also Schutzrechte von Beschäftigten abgebaut und Mitbestimmung mit Füßen getreten wurde, ist das Vertrauen in die Demokratie besonders niedrig.

Von Jan Richter

Die aktuellen Vielfachkrisen sind herausfordernd und stehen im Zusammenhang mit einer Krise der Demokratie. Politikverdrossenheit und Demokratieskepsis nehmen zu. Zwischen gewünschten Einfluss auf Politik und gleichzeitig empfundener politischer Ohnmacht und Einflusslosigkeit klafft eine immer größer werdende Lücke. Das führt zu einem für die Nachkriegszeit einmaligen Ruck nach rechts, ist ohne einen Blick auf die Welt der Arbeit aber nicht zu verstehen.

Die Otto-Brenner-Stiftung ging 2020 der Frage nach, wie Beteiligung, Solidarität und Anerkennung im Betrieb erlebt werden und wie sich dieses Erleben speziell auf die Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Demokratie auswirkt. Ergebnis: Demokratische Enttäuschungen hängen eng mit dem Ausbleiben von Mitbestimmungserfahrungen am Arbeitsplatz zusammen.

Für demokratische Beteiligung aber braucht es Selbstachtung. Sinkt der Stellenwert der Arbeit, sinkt auch das Vertrauen in demokratische Prozesse. Wo also Schutzrechte von Beschäftigten abgebaut und Mitbestimmung mit Füßen getreten wurde, ist das Vertrauen in die Demokratie besonders niedrig. Eine Möglichkeit, gegen dieses Ohnmachtserleben vorzugehen, ist, die Demokratie am Arbeitsplatz zu stärken. Mitbestimmung macht Selbstwirksamkeit und demokratische Prozesse erlebbar. Der Strukturwandel betrifft nicht nur alle Branchen, sondern eben auch jeden einzelnen Beschäftigten. Damit diese in der Transformation eine aktive Rolle einnehmen können, sind innerbetriebliche Beteiligungsprozesse auszubauen, die einzelne Beschäftigte stärker ermuntern, sich einzubringen.

Das Konzept »Ahoi, Mitbestimmung« enthält dazu viele Ideen, zwei Vorschläge befördern das aber konkret. Da ist zum einen der Ausbau der Betriebsversammlung als eigenständiges Organ der Betriebsverfassung. Einberufen kann sie nicht nur der Betriebsrat, neben dem Arbeitgeber kann es auch ein Viertel der Belegschaft beim Betriebsrat beantragen. Dieses Quorums abzusenken ist konsequent, denn die Versammlung ist das zentrale Forum der Kommunikation auf Arbeit, der Ort der betriebspolitischen Aussprache und Meinungsbildung. Das geht Hand in Hand mit der Forderung nach einer Demokratiezeit am Arbeitsplatz, einem Rechtsanspruch für Beschäftigte auf monatlich zwei Stunden Befreiung von der Arbeitsverpflichtung zum gemeinsamen Austausch. Denn oft fehlt der Raum, sich über betriebspolitische Fragen zu informieren oder Betriebsversammlungen vor- und nachzubereiten und sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Demokratiezeit stärkt die Mitgestaltung der Beschäftigten und ist direkte Demokratie im Betrieb.

Beschäftigte sind nicht nur die eigentliche Machtressource von Betriebsräten und Gewerkschaften, sie sind vor allem Experten bei Fragen der Gestaltung ihrer Arbeit. Stärken wir ihre Rechte, wird mehr direkte Demokratie im Betrieb erlebbar: Von unten, statt in Stellvertretung – nicht als Ersatz für die institutionalisierte betriebliche Mitbestimmung, sondern als deren Ergänzung.